Hans Reck
Fassung vom 14.12.2021
Das ehemalige Stellmacherhaus wurde 1903 von Robert Braun und seiner Ehefrau Christine, geborene Enkler, gekauft. Das ursprüngliche Haus war einstöckig und hatte nur ein Erdgeschoss. Vor 1903 wurde vermutlich eine Gaststätte betrieben. Das Haus wurde 1924 im bergischen Fachwerkstil aufgestockt. Oberhalb des Erdgeschosses haben die beiden oberen Stockwerke seitliche Schrägen mit unterschiedlichen Neigungen.
Robert Braun betrieb eine Stellmacherei. Die kleine Werkstatt lag, wie heute noch sichtbar, in östlicher Richtung neben dem Haus. Auch dieses Gebäude wurde teilweise im bergischen Fachwerkstil errichtet. Das Kreuz auf der Vorderseite des Hauses war bereits 1903 an gleicher Stelle vorhanden. Josef Braun, der Sohn von Robert, übernahm 1923 die Stellmacherei. Josef war mit Maria, geborene Kraus, verheiratet. In der Stellmacherei wurden u. a. hölzerne Wagenräder für verschieden Karren, Heuwagen, eine Vielzahl von Karrentypen und auch verstellbare Absperrgitter aus Holz für Kühe in Ställen von Bauernhöfen bis ca. 1955 hergestellt. In der Stellmacherei wurden auch Lehrlinge ausgebildet. Hannes Braun, ein Bruder von Josef, hatte in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts gegenüber dem Stellmacherhaus eine Schmiede errichtet. Hier wurden die Bauteile aus Stahl (Schmiedeeisen) z.B. Reifen für Wagenräder, Achsen und Zubehör gefertigt. Im Stellmacherhaus betrieb Hubert Braun, ein weiterer Bruder, eine Schusterei. Alle drei Brüder übten ihr Handwerk aus und hatten entsprechende Meisterbriefe. Das Stellmacherhaus verblieb in Familienbesitz und dient heute als Wohnung.
In ländlichen Gegenden fiel dem Stellmacher nicht nur die Herstellung bäuerlicher Nutz- und Transportgeräte zu, sondern auch die Fertigung und Wartung vieler hölzerner Werkzeuge und Geräte, die bei der Arbeit unentbehrlich waren. Der Stellmacher war einer der ältesten Dorfhandwerker überhaupt und war im ländlichen Raum unentbehrlich. Das Material, mit dem der Stellmacher umzugehen hatte, war ausschließlich Holz.
Im Transportwesen spielte früher das Stellmacherwesen eine bedeutende Rolle. Am Beispiel, wie Wagenräder zu fertigen sind, hier eine kurze Beschreibung. Es war die berufsspezifische Aufgabe des Stellmachers. Diese Arbeiten erforderten besondere Erfahrungen und Geschicklichkeit.
Die Speichen wurden auf Vorrat ebenso wie die Felgenstücke gefertigt und mussten mindesten drei Jahre lagern. Die Radnaben wurden gewöhnlich auf einer Drehbank gedrechselt. Vor dem Eintreiben in die Nabe wurden die Speichen in einem Kessel erhitzt (gekocht). Die Radnabe wurde mit Hilfe spezieller Bohrwerkzeuge von Hand gebohrt. Die konische Nabenbohrung wurde vom Schmied mit einer Stahlbuchse versehen. Das fertige Rad mit samt seinem Felgenkranz wurde schließlich mit einem Stahlreifen beschlagen. Hierzu musste das Rad in die Schmiede transportiert werden. Der erwärmte und glühende Stahlreifen wurde auf das Holzrad aufgezogen. Nach dem Aufziehen des Reifens musste das Rad in ein Wasserbad getaucht werden. Natürlich waren die Achsen auch aus Stahl, die in der Schmiede vorbereitet wurden. Hier ist an einem Beispiel wird das Zusammenwirken von Stellmacher und Schmied beschrieben, wie das auch bei den Gebrüdern Braun gewesen sein muss.
In den 1920er Jahren hieß die Gastwirtschaft bereits „Zur Post“. Betrieben wurden neben einer Gastwirtschaft, ein Kramladen und eine Poststation. Der Poststation kam eine größere Bedeutung zu, als 1847 bis 1853 die Straße von Mühlheim (Köln) nach Wipperfürth ausgebaut wurde. In einem Nebengebäude zurückgesetzt an der Ostseite, gab es eine sogenannte Krautpasche (zur Herstellung von Apfelkraut) und die aus dem Hauptgebäude in einem kleinen Anbau ausgelagerte Poststation. Die Krautpasche wurde noch bis in die 50er Jahre hin betrieben. An der Westseite zum ehemaligen Pfarrhaus hin, befand sich eine Kegelbahn. Der Kramladen auf der rechten Gebäudeseite wurde bereits 1968 geschlossen.
Der Niedergang des Stellmacherhandwerks war zur Mitte des letzten Jahrhunderts nicht mehr aufzuhalten. Die Nachfrage in der Landwirtschaft wandelte sich, nachdem seit 1900 zunehmend Geräte aus Metall hier heimisch wurden. Zudem setzten sich nach 1930 allgemein die Gummibereifung und der Einsatz von Traktoren durch. Damit wurde dem Stellmacher die Grundlagen seiner Tätigkeit entzogen. Viele Betriebe lösten ihre Werkstätten daraufhin auf.
AUDIO-GUIDE:
Werner Lauktien: Gasthaus „Zur Post“ in Biesfeld, neues Leben im alten Fachwerk, Kürtener Schriften, Heft 7, November 2009, Herausgeber: Geschichtsverein für die Gemeinde Kürten und Umgebung,
Geschichtsverein für die Gemeinde Kürten und Umgebung e. V.: Von Wegekreuzen,
Mühlen und Dolinen -- Kulturhistorische Zeugnisse in der Gemeinde Kürten, 2009,
Gemeinde Kürten: Denkmalliste der Gemeinde Kürten, Denkmal Nr.: 114,
Josef Büchel, Peter Gronewald: Bilder aus alter Zeit, Gemeinde Kürten, MD&V Meinerzhagener Druck-und Verlagshaus, 1984
Fotos mit freundlicher Genehmigung von
Norbert Grothoff: http://www.norbertgrothoff.de/5-Biesfeld,-Bechen,-Kuerten
Wikipedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Entstehendes_Holzrad.JPG