Kunibert Förster
Kürtener Schriften, Band 4, 2003, S. 91 - 119 (angepasster Auszug)
Fragt man Mitmenschen, was ein "hydraulischer Widder" ist, erhält man nur in den wenigsten Fällen eine richtige Antwort. Viele reagieren nur mit einem Kopfschütteln. Noch weniger Menschen wissen, wie er funktioniert. Der hydraulische Widder ist ein Apparat, der Wasser von tief gelegenen Punkten zu hochgelegenen Verbrauchern fördern kann, ohne dass Fremdenergie (z. B. Strom) eingesetzt werden muss. Er ist sozusagen eine Pumpe ohne Motor oder genauer gesagt, eine wasserbetriebene Wasserpumpe, denn ein Teil des verfügbaren Wassers selber treibt die Pumpe an. Obwohl dieses Gerät eine wirklich elegante Lösung zur Förderung von Wasser darstellt und solche Apparate in der Vergangenheit auch im Bergischen häufig zum Einsatz kamen, ist das Wissen darum mehr und mehr verloren gegangen.
Wahrscheinlich war es aber auch früher nicht besonders verbreitet, sondern auf wenige "Eingeweihte" wie Wasser-Installateure oder abgelegen wohnende Bauern begrenzt, die solche Geräte einsetzten. Zum einen fielen die Widder nicht besonders auf. Meist in einem abgelegenen Siefen installiert, taten sie ihren Dienst, ohne dass man sich besonders darum kümmern musste. Zum andern war den meisten Menschen die Arbeitsweise nicht ganz klar und fast ein wenig geheimnisvoll, so dass sie eher nicht darüber redeten, um nicht als dumm und unwissend zu gelten.
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Bei der Suche nach ehemaligen Widderanlagen stößt man fast zwangsläufig auf das Örtchen Oberkollenbach.
Meist hört man die Nachricht, dass es unterhalb des Ortes ein Häuschen im Siefen gebe, das einst einen Widder beherbergt haben soll. Bei genauerer Untersuchung wird jedoch schnell klar, dass das erwähnte Häuschen in Sichtweite der Häuser von Kollenbach nichts mit dem Widder zu tun hatte. Tatsächlich beherbergte es eine elektrisch betriebene Pumpe, die in der Vergangenheit Wasser aus einem Brunnen im Tal nach oben förderte. Der Widder selbst stand einige hundert Meter südlich des Ortes entfernt im Siefen des Westerbaches, einem Nebenbach des Kollenbachs.
Der Widder, wie auf den Bildern zu sehen ist, pumpte das Wasser in einen Hochbehälter oberhalb der Häuser in Kollenbach. Die Distanz betrug beachtliche 500 Meter, was für Widderanlagen eine beeindruckende Größe darstellt. Die Förderhöhe des Widders bis zum Hochbehälter betrug etwa 50 Meter. Insgesamt handelte es sich also um eine anspruchsvolle Anlage.
Ja, der Widder existiert noch. Heinz Müller, Schlosser mit einer besonderen Vorliebe für alte Technik und skurrile technische Kunstwerke in Waldmühle, hatte ihn in den 80er Jahren an seinem alten Standort aus dem Schlamm, der ihn nach seiner Ausserdienststellung überflutet hatte, ausgegraben. Allerdings geschah dies erst, nachdem er hartnäckige Verhandlungen mit den Besitzern der Wassergenossenschaft Oberkollenbach durchgeführt hatte und schließlich 75 Mark auf den Tisch blätterte. Bis etwa 2020 konnte man dieses beeindruckende Stück über einem Wasserbecken direkt an der Wipperfürther Straße vor dem Haus Müller bewundern (- heute steht es am Rathaus der Gemeinde Kürten; siehe hierzu auch: "Hydraulischer Widder am Kürtener Rathaus").
Frau Annegret Irlenbusch erzählt, dass ihr Vater Adolf Müller regelmäßig den Widder wartete. Für diese Aufgabe erhielt er monatlich 1,50 Mark als Entlohnung. Allerdings war er auch dafür verantwortlich, bei Störungen den Weg ins Tal zu gehen und nachzusehen, warum kein Wasser floss.
Neben lästigen Blättern, Schlamm oder Ästen gab es gelegentlich auch Kinder, die aus Übermut Schabernack trieben, indem sie mit einem Stöckchen das Absperrventil des Widder-Wassersystems außer Betrieb setzten. Die Müllers-Kinder mussten aber oft auch selber mithelfen, wenn es darum ging, das Wasser umzuleiten. Denn im Dorf gab es ein zweites Verteilerbecken weiter unten, das insbesondere viele Tiere eines Hofes mit Wasser versorgte. Die Wasserverteilungszeiten waren streng festgelegt und in Zeiten knappen Wassers kam es sogar zu Streitigkeiten über die Zuweisungszeiten.
Die Bedeutung des Widder-Wassersystems für Oberkollenbach wird deutlich, wenn man bedenkt, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Dorf die größte Siedlung im südlichen Teil der Gemeinde Kürten, genannt "Unterkürten", war. Um 1830 hatte Oberkollenbach bereits knapp 120 Einwohner, fast viermal so viele wie Biesfeld. Leider konnte nicht ermittelt werden, wann genau die Widderanlage errichtet wurde. Es ist jedoch möglich, dass sie gleichzeitig mit dem Bau und dem Betrieb der Schule entstand, die hier von 1810 bis 1867 in Betrieb war. Zeitweise wurden darin mehr als 300 Kinder aus der gesamten Umgebung unterrichtet. Der Hochbehälter befand sich übrigens ganz in der Nähe des Standorts, an dem die Schule einst stand.
Unabhängig von seiner Historie war die Widderanlage bis nach dem Zweiten Weltkrieg in Betrieb. Erst in den 1960er Jahren, als die kommunale Wasserleitung bis nach Kollenbach verlegt wurde, wurde der Widder überflüssig. Einige Häuser weiter unten im Ort wurden jedoch noch bis circa 1970 von ihm versorgt. Danach geriet er in Vergessenheit und versank im Schlamm des Westerbaches, bis ihn Heinz Müller wieder ans Tageslicht brachte.
(siehe hierzu auch: "Hydraulischer Widder am Kürtener Rathaus")
Hans Berghaus aus Spitze berichtete, dass er in der Endphase des "Widderlebens" nach dem Krieg von den Kollenbachern zur Hilfe gerufen wurde, da sie den Widder nach der Erneuerung der Zulaufleitung nicht mehr in Betrieb nehmen konnten. Doch auch ihm gelang es nicht, den Apparat wieder zum Funktionieren zu bringen. Später wurde ihm klar, woran das lag: Die Kollenbacher hatten die alte Bleileitung durch eine Kunststoffleitung ersetzt. Diese Kunststoffleitung, dämpfte nun aufgrund ihrer Elastizität die Druckstöße so weit ab, dass der Widder bei seinen extremen Verhältnissen (sehr lange Förderleitung bei ziemlich großer Förderhöhe) leider nicht mehr effizient arbeiten konnte.
Das Wirkprinzip eines hydraulischen Widder in einfachen Worten :
Ein hydraulischer Widder (1) ist eine Vorrichtung, die Wasser nutzt, um sich selbst zu betreiben. Das Wasser (4) fließt durch eine Röhre (2) in ein Gehäuse, wo es plötzlich gestoppt wird. Dies erzeugt einen starken Druckstoß. Dieser Druckstoß drückt einen Teil des Wassers nach oben (3) in einen höher gelegenen Tank (6) oder Rohrleitung, während der Rest des Wassers abfließt. Die Abläufe werden durch sich schließende bzw. öffnende Ventile gesteuert. Dabei spielen die wechselnden Drücke (Überdruck und Unterdruck) sowie sich ändernde Strömungsrichtungen eine entscheidende Rolle. Der Vorgang wiederholt sich immer wieder, ohne dass eine externe Energiequelle erforderlich ist.
Der hydraulische Widder nutzt also die Energie des fließenden Wassers, um Wasser auf natürliche Weise auf höhere Ebenen zu pumpen, ohne Elektrizität oder andere Energiequellen zu benötigen.
Kürtener Schriften, Band 4, 2003, S. 91 - 119 (angepasster Auszug)
Infos zum Wirkprinzip basierend aus: